Forschung

Um Grundlagenfragen von Gesellschaft in angemessener Tiefe zu bearbeiten, müssen interdisziplinäre Perspektiven in synthetisierender Weise zusammengeführt werden. Dafür ist es unerlässlich die zu Grunde gelegte Methodologie zu reflektieren und sichtbar zu machen. Erst so können disziplinäre Engführungen überwunden und transdisziplinäre Erkenntnisse gewonnen werden. 

Projekte

  • Rechtsordnungen als Verfahrensordnungen der Gewalt

    Das Klimaschutzurteil des BVerfG behandelt Grundbegriffe des gesellschaftlichen Zusammenlebens:  Freiheit, Legitimität des staatlichen (Nicht)Handelns und im Weiteren die Modalitäten von (Staats)Gewalt. Diese speisen sich aus den ihnen zu Grunde liegenden sozio-politischen Leit- und Ordnungsideen, verstanden als Vergegenwärtigung von Werten, Normen und sachlichen Zusammenhängen, eben kulturell gebündelte Ordnungssysteme, welche sich auch als verhaltensstrukturierende Kraft auf institutionelles Handeln auswirken. Die Klimakrise hat zu einem Wandel von eben jenen gesellschaftlichen Leitideen geführt.  Erst die analytische Rückkoppelung von empirischen, normativ gehaltvollen Sachverhalten an die sie begründenden, normativen Grundprämissen (Habermas) macht das Urteil als critical juncture (Shapiro/Stone Sweet) sichtbar und ermöglicht eine angemessene Diskussion der Wirkmächtigkeit des Urteils, nämlich das eingeschriebene (neue) Verhältnis von Freiheit der Bürger:innen und Staatsgewalt. Erarbeitung eines Drittmittelantrags (DFG) mit Prof. Dr. Gesa Lindemann, Prof. Dr. Benno Zabel und Dr. Jonas Barth.

  • Das CTN ist ein Netzwerk von internationalen Kolleg*innen aus dem öffentlichen Recht. Wir halten Jahrestagungen (Lissabon, Paris, Lyon) zu aktuellen Themen aus dem öffentlichen Recht ab. Hier werden derzeitige Probleme vor dem jeweiligen nationalen Hintergrund und im Vergleich, sowie unsere eigene Forschungsarbeit diskutiert. Als Mitglied im Executive Commitee bin ich zum einen für die weitere Institutionalisierung des Netzwerkes und zum anderen für die aktuelle gemeinsame Arbeit (Jahrestagungen) zusammen mit Prof. Dr. Pierre Brunet (Paris), Prof. Dr. Eleonora Bottini (Caen), Dr. Luís Pereira Coutinho (Lissabon), Dr. Chiara Valentini (Bologna). Aktuell organisieren wir die nächste Tagung zum Thema “Interpretation of the Constitution” an der Sorbonne in Paris im Mai 2025.

  • Da eine gute Schulpraxis auf gelungenen Anerkennungsprozessen beruht, gilt es Anerkennung als Theorem allgemeinpädagogischer und bildungs-, lern-, und erziehungstheoretischer Reflexionen zu rekonstruieren, die Bedingungen gelungener Anerkennungsprozesse im schulischen Leben zu identifizieren, um schließlich Konzepte und konkrete Beispiele praxisdienlich vorzulegen. Dieses wissenschaftsgesteuerte Projekt soll durch, mit und für Schüler*innen und ihrem Umfeld umgesetzt werden. Ein erster Entwurf für einen Drittmittelantrag wurde bereits zusammen mit Dr. Susann Hofbauer erarbeitet.

  • Politisch betrachtet handelt es sich bei den SoLaWis um Soziokratien oder Genossenschaften. Philosophisch gründen diese Gemeinschaftsformen auf der Idee intersubjektiv begründeter Selbstbestimmung und juristisch bedeuten sie eine Herausforderung. In Anbetracht der aktuellen Verwerfungen der politischen Strukturen in der Welt sollen in diesem Projekt Expert*innen aus Theorie und Praxis in einen interdisziplinären Austausch gebracht werden, um der Frage nachzuspüren, wie ein gesellschaftlicher Wandel jenseits von den Abhängigkeiten globaler Ökonomie und im Sinne von mehrdimensionaler Nachhaltigkeit gestaltet werden könnte.

Forschungskonzept

An meinen Arbeiten lässt sich mein wissenschaftliches Hauptinteresse ablesen: die Herausarbeitung der philosophischen und politiktheoretischen Grundkategorien des Gesellschaftlichen mit besonderem Blick auf das Recht. Diese werden für mich insbesondere durch das Verhältnis der sprachlich vermittelten, in Interaktionen aufeinander sich beziehenden Individuen und den dabei entstehenden sozialen Institutionen, wie eben auch durch das Recht, beschrieben. Die institutionentheoretischen Fragen müssen dabei analytisch bis in ihre juristischen Argumentationslogiken verfolgt werden.

Der beschleunigte Wandel, den die Globalisierung und die digitale Transformation mit sich gebracht haben, führt zu einer Entgrenzung politischer und gesellschaftlicher traditionaler Ordnungen und lässt die hergebrachten Systematiken von Staat und Gesellschaft erodieren. Die sich ständig wandelnden Governancestrukturen werfen “Staat und Gesellschaft” gerade durch die Entgrenzungserscheinungen auf ihre – vor allem metatheoretisch – relevanten Grundfragen zurück. Angesichts dieser Problemlage verfolge ich einen ganzheitlichen, notwendiger Weise interdisziplinären Zugang.

Interdisziplinarität ergänzt und synthetisiert die verschiedenen Perspektiven in idealer Weise, wenn man konkrete rechts- und politikwissenschaftliche Fragen wie beispielsweise den Wandel demokratischer Systeme oder Verfassungen zwischen Konstitutionalismus und Pluralismus auf der begründungstheoretischen Ebene der politischen Philosophie und Rechtsphilosophie zu allgemeinen Fragen von Herrschaft und Recht weitertreibt und sie schließlich als Anerkennungsprozesse zwischen (Inter)Subjekten aus metatheoretischer betrachtet. Mit einer solchen Erweiterung der Problemdimensionen wird eine Untersuchung ermöglicht, die von vornherein je konkrete Fragestellung als Implikat eines vorhandenen Gesamtkontextes betrachtet. Dies wiederum nimmt Einfluss auf das Hervortreten der Konturen des relevanten Sachgehalts ebensolcher konkreten Problematiken. Dabei muss immer auch die zugrunde gelegte Allgemeinheit der Begrifflichkeit wie auch die disziplinäre Einfärbung der verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven im auszutragenden Diskurs methodologisch reflektiert werden. Die Suche nach den angemessenen begrifflichen Bestimmungen im Rahmen der komplexen, sich historisch entfaltenden wie auch wissenschaftstheoretisch zu betrachtenden Zusammenhänge am Grunde des Politischen und des Rechtlichen, beschreibt so mein Forschungsprofil. Dafür ist immer wieder eine Spiegelung des metaethischen Hintergrunddiskurses notwendig.

Das Recht, verstanden als sprachlich verfasste soziale Institution[1], hat eine Scharnierfunktion inne. Als fundamentale gesellschaftliche Kategorie lässt sich an ihr der beschriebene wissenschaftliche Zugang, nämlich eine Analyse konkreter Fragen auf der metatheoretischen, theoretischen, wie auch empirischen Ebene exemplifizieren. In meiner Forschungsarbeit hat sich dieser Zugang in der Bearbeitung verschiedener Fragestellungen und dem Ausloten wie innovativem Fortschreiben niedergeschlagen.

Zu meiner jahrelangen rechtsphilosophischen Profilierung gehört zum einen die Forschung zum Recht der Menschenwürde[2] als fundamentaler gesellschaftstheoretischer Kategorie. Hier konnte der intrinsische Zusammenhang von Recht, Moral und Anerkennung bei Kant, Fichte, Hegel und Habermas analysiert und auf den metatheoretischen Paradigmenwechsel verwiesen werden. Aber auch auf theoretischer und empirischer Ebene ließen sich Fragen nach dem Recht in seiner Verbindung zu Herrschaft[3] und Gewalt[4] und mit Blick auf seine sprach- und diskurstheoretischen Implikationen[5] hin untersuchen. Die weitere Schnittstelle von Recht und Gesellschaft[6] bildet ein fortwährend begleitendes Forschungsinteresse. So hat mich das Recht in einer liberalen, republikanischen und anarchistischen Lesart[7] interessiert. Die Verfassung konnte zum einen als eine Institution zwischen Normativität und Funktionalität[8] untersucht und zum anderen ihre Integrations- und Legitimationskraft[9] in den Blick genommen werden. Dabei habe ich u.a. einen neoinstitutionalistischen Ansatz verfolgt. Aber auch die rechtstheoretische Diskussion von Verfassung zwischen Konstitutionalismus und Pluralismus[10] gehört zu diesem Forschungsschwerpunkt. 

Das weitere Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, in welches das Recht immer eingebunden ist, habe ich anhand verschiedener politiktheoretischer Fragestellungen bearbeitet. So habe ich u.a. methodologisch reflektierend zu dem aktuellen Diskurs der “Krise der Demokratie”[11] publiziert. Auch haben mich Fragen von republikanisch, liberal und diskurstheoretisch begründeten Demokratieformen[12] beschäftigt. Intersubjektivität als Schlüsselparadigma moderner Gesellschaften[13] wie auch kleinerer Kollektive untersucht und Anerkennungsprozesse oder Religion als gesellschaftliche Begründungsressourcen untersucht.

Aktuell erarbeite ich mit Prof. Dr. Gesa Lindemann, Prof. Dr. Benno Zabel und Dr. Jonas Barth sowie Dr. Robert Simon (Freie Universität Bozen) an einem Drittmittelantrag zum Thema „Freiheit und Gewalt: Staat und Bürger:innen in der Klimakrise? - Rechtsordnungen als Verfahrensordnungen der Gewalt“. Das Klimaschutzurteil des BVerfG behandelt Grundbegriffe des gesellschaftlichen Zusammenlebens: Freiheit, Legitimität des staatlichen (Nicht)Handelns und im Weiteren die Modalitäten von (Staats)Gewalt. Diese speisen sich aus den ihnen zu Grunde liegenden sozio-politischen Leit- und Ordnungsideen, verstanden als Vergegenwärtigung von Werten, Normen und sachlichen Zusammenhängen, eben kulturell gebündelte Ordnungssysteme, welche sich auch als verhaltensstrukturierende Kraft auf institutionelles Handeln auswirken. Die Klimakrise hat zu einem Wandel von eben jenen gesellschaftlichen Leitideen geführt. Erst die analytische Rückkoppelung von empirischen, normativ gehaltvollen Sachverhalten an die sie begründenden, normativen Grundprämissen (Habermas) macht das Urteil als critical juncture (Shapiro/Stone Sweet) sichtbar und ermöglicht eine angemessene Diskussion der Wirkmächtigkeit des Urteils, nämlich das eingeschriebene (neue) Verhältnis von Freiheit der Bürger:innen und Staatsgewalt.

Verschiedene Fragestellungen im Bereich Gender und Diversity bearbeite ich seit einiger Zeit auf unterschiedlichen Ebenen. So habe ich mit Dr. phil. Claudia Wirsing und Dr. iur. Kristin Albrecht 2019 ein Netzwerk für Frauen, die zum Recht forschen, gegründet: SAFI - Societas Aperta Feminarum in Iuris Theoria (https://safi-network.org/). Hier werden zum einen Geschlechterfragen in interdisziplinärer Weise gemeinsam bearbeitet und zum anderen wird aktiv zu einer Frauen- und Nachwuchsförderung beigetragen. Die Ergebnisse der zweiten Tagung zum Thema „Violence and Power“ werden Anfang 2024 als Sonderheft der Zeitschrift Rechtsphilosophie erscheinen. Publikationen der Ergebnisse der Tagungen 2022 in Verona, Italien zum Thema „Responsibility“ sind u.a. im ARSP[14] und RPhZ[15] erschienen, in Bearbeitung sind ebenso die Publikationen der Tagungsergebnisse der Tagungen: Punishment, Paris 2023 wie auch der Tagung: Consent, Glasgow 2024.

 

[1] Zur Universalität von Normen, in: Ast, Stefan/Hänni, Julia/Mathis, Klaus/Zabel, Benno (Hrsg.), Gleichheit und Universalität, ARSP Beiheft 128, 2011, S. 165-178.

[2] Das Recht der Menschenwürde, (Menschenwürde bei Kant, Fichte, Hegel und Habermas), in: Seelmann, Kurt/Zabel, Benno, Autonomie und Normativität, Mohr Siebeck, 2014, S. 99-125.

[3] Recht ohne Herrschaft? Zum Verhältnis von Anarchie und Regel, in: Mathis, Klaus/Langensand, Luca (Hrsg.), Anarchie als herrschaftslose Ordnung?, Duncker & Humblodt, 2019, S. 309-339.

[4] Freiheit und Gewalt: Staat und Bürger:innen in der Klimakrise, (mit Lindemann, Gesa/Barth, Jonas/Zabel, Benno), Leviathan, 2024, S. 423-428, doi.org/10.5771/0340-0425-2024-4

[5] Zur Hermeneutik von Recht als gesellschaftlicher Institution, in: Bäcker, Carsten/Klatt, Matthias/Zucca-Soest, Sabrina, Sprache-Recht-Gesellschaft, 2012, Mohr Siebeck, S. 3-9.

[6] Vorbedingungen des Rechts, (mit: Abraham, Markus/Zimmermann, Till), 2016,  Steiner.

[7] Recht ohne Herrschaft? Zum Verhältnis von Anarchie und Regel, in: Mathis, Klaus/Langensand, Luca (Hrsg.), Anarchie als herrschaftslose Ordnung?, Duncker & Humblodt, 2019, S. 309-339.

[8] Verfassungen zwischen Normativität und Funktionalität - Zur Geltungsbegründung von Institutionen in: Marcus Llanque/Daniel Schulz (Hrsg.), Verfassungsidee und Verfassungspolitik, Oldenbourg, 2015, S. 137-151. https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/9783486848540.137/html

[9] Legitimation und Integration durch Verfassung in einem Mehrebenensystem (mit Prof. Dr. Roland Lhotta), in: Astrid Lorenz/Christoph Hönnige/Sascha Kneip (Hrsg.), Verfassungswandel im Mehrebenensystem, 2011, S. 367-386. https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-531-94046-5_16

[10] Verfassungsstaaten in einer globalisierten Welt, in: ZfP, 2019, S. 398-412. doi.org/10.5771/0044-3360-2019-4

[11] Die Krise der Demokratie – Eine Frage der Perspektive?, in: Zeitschrift für Praktische Philosophie, 2019, S. 113-140. https://www.praktische-philosophie.org/zfpp/article/view/187

[12] Individuum und Gemeinschaft im Republikanismus, in: Thiel, Thorsten/Volk, Christian, Die Aktualität des Republikanismus, Schriftenreihe Staatsverständnisse, Nomos, 2016, S. 125-153.

[13] Zur Theorie der Interkollektivität als Polykollektivität, in: Zeitschrift für Kultur- und

Kollektivwissenschaft, 2016, S. 31-46.

[14] ARSP 4/2024, Verantwortung als Aufforderung.

[15] RPhZ, 1/2025, Responsibility-Verantwortung.